Nicht auf, sondern über dem Pináculo stehe ich hier und möchte vor lauter Glück am liebsten weinen. Über 1000 m Aufstieg haben mich hierher gebracht. Warum ich so emotional reagiere, weiß ich selbst nicht. Es war weder besonders anstrengend, noch technisch sehr herausfordernd. Der ganze Weg auf der Vereda do Monte de Trigo war einfach nur schön. Mit diesem Ausblick hatte ich allerdings überhaupt nicht gerechnet. Wie auch? Den Weg vom Pináculo aufwärts kennt ja so gut wie niemand, denn er ist erst seit kurzer Zeit überhaupt begehbar. Vielleicht war es einfach dieses Glücksgefühl einer "Erstbegehung".
Wobei das mit der Erstbegehung natürlich nicht ganz richtig ist, denn der Weg ist das Werk meines Guides, dem unvergleichlichen Jorge Lobo, der Madeira kennt wie kein anderer, und einen unglaublichen Spürsinn für alte Wege hat. Er war es auch, der die "verdadeira Vereda do Monte do Trigo" entdeckt hat, nachdem etliche der hiesigen Hardcore-Wanderer Monate, wenn nicht Jahre danach gesucht hatten. Immer wieder gab es neue und oft auch sehr abenteuerliche Varianten. Und immer stießen sie irgendwo auf ein Stück eindeutigem Weg. Mit der Überlegung, dass die Vereda do Monte de Trigo von den Hirten aus São Vicente begangen wurde, mit Schafen hinauf und mit Wolle und sonstwas hinunter, dann konnte die Vereda nicht in einer Direttissima durch die Steilhänge gehen. Also suchten Jorge und einige Mitstreiter nach der echten Vereda, entdeckten sie Stück für Stück und legten sie in wochenlanger Arbeit wieder frei. Und ich durfte gestern auf diesen historischen Spuren wandern.
Wir starten an der Levada dos Rodrigues nahe des Tunnels am bekannten Einstieg zur Levada Velha do Folhadal, knicken dann rechts weg, bleiben kurzfristig auf der Bikerpiste und überqueren dann die trockene Ribeira do Folhadal. Alte Steinmauern werden sichtbar, Reste von ehemaligen Palheiros, und dann ein mit Steinen eingefasstes Rund von etwa 20 m Durchmessern. Es war einmal ein Dreschplatz für Getreide. Der ganze etwa 80-100 jährige Wald war ein Weizenfeld über dem anderen. Und über allem thronte der Monte de Trigo (daher der Name!). Wir kommen zurück auf einen der bereits bekannten Wege um ihn nach wenigen Minuten wieder nach links zu verlassen. Nun beginnt das "Abenteuer"! Erstmal bleibt es einfach nur eine Waldwanderung, stetig bergauf. Dann nach gut 1 1/2 Stunden der erste Ausblick auf das Ziel: Bica da Cana. Ab hier wird der Weg etwas anspruchsvoller und nach einer Schluchttraverse auch steiler. Nach einer weiteren Stunde haben wir den Poiso des Monte de Trigo erreicht, ein kleines Plateau, (auf dem sich früher die Hirten zur Übergabe von Tieren oder Wolle getroffen hatten). Ein kurzer Abstieg, dann ist der weitere Aufstieg eindeutig. Es folgen zwei Kreuzungen, hier wird jeweils der ansteigende Pfad genommen und schon sind wir am Fuß des Pináculo angekommen. Gut 3 h brauchten wir bis hier herauf - "müde? Nein. Dann weiter rauf auf dem neuen Weg." Das war überraschend.
Dort, wo die Levada do Monte Medonho in die vertikale Rinne fällt, führen rechts ein paar Erdstufen bergauf. Ich denke noch, das ist ja eine schöne Alternative für einen bequemen Rundweg zur Levada, dann stehen wir vor einer kleinen Felswand. Also nix mit bequem, sondern eine kleine Kraxeleinlage, die Baumheide hilft. Die Aussichten werden immer besser, Strochschnäbel und Margariten begleiten den Weg, und dann stehen wir auf diesem kleinen farnbewachsenen Plateau und es fühlt sich an wie das Dach von Madeira. Hier muss man einfach eine Weile bleiben, es ist unbeschreiblich schön.
Nach dieser meditativen Pause sind wir gut gerüstet für den eher etwas langweiligen Part über die Windradpiste und ein Stück Straße bis Bica da Cana. Von hier geht's zu den Balcões durch das kleine Baumheidewäldchen, wo im Sommer die Sonnenaufgangskonzerte stattfinden. Nie hätte ich gedacht, dass man von hier zum PR 17 absteigen kann. Aber es geht! Am östlichen Ende lässt sich die Felskante umgehen. Auf dem PR 17 angekommen, links weiter bis zum Abstieg über die kettengesicherten Paredes. Die kenne ich schon von ein paar Aufstiegen, runter ist das nochmal ein bisschen kniffliger. Aber mit Bedacht gut machbar. Dieser Vertikalabstieg kommt direkt am Ende der Levada da Ribeira do Inferno heraus. Jetzt sind wir in den Wolken und vom Aussichtspunkt "Amazonia" sieht man mal wieder nichts, was überhaupt nicht stört, denn wir haben uns ja schon sattgesehen. Ein paar dieser elenden Blockbohlenstufen des PR 17 müssen wir noch hinunter, dann schwenken wir nach links weg. Auf weichem Waldboden im dicken Laubteppich lässt es sich fast gleiten. Wir treffen auf die trockene Levada do Folhadal, überqueren die Vereda do Curral do Burro und setzen den jetzt sehr sanften Abstieg fast weglos durch den Wald fort. Die Wolken sind tiefer gesunken, es ist fast mystisch.
Nach 5 1/2 Stunden Gehzeit ist die Runde geschlossen. Herzlichen Dank an Jorge! Wandern macht glücklich!
|
Ribeira do Folhadal |
|
vor Jahrzehnten wurde hier Weizen gedroschen |
|
ein alter Grenzstein |
|
der Abzweig zur echten Vereda do Monte do Trigo |
|
der freigelegte Weg |
|
ab hier wird es herausfordernder |
|
da wollen wir hinauf! |
|
auf dem Poiso des Monte de Trigo - vor uns der Pináculo |
|
der Weg teilt sich - wir bleiben links weiter bergauf - rechts ist Sackgasse |
|
Blick zurück auf den Monte de Trigo |
|
hier ist der ursprüngliche Weg nicht mehr da, deshalb muss ein bisschen gekraxelt werden |
|
Pináculo und Monte de Trigo |
|
parallel unter uns verläuft die Levada do Monte Medonho (Levada da Serra da Bica da Cana) |
|
Fonte das Margaridas |
|
das ganze Ensemble: São Vicente, Monte de Trigo, Pináculo |
|
auf den Balcões da Bica da Cana |
|
Abstieg zum PR 17 |
|
Beginn der Paredes |
|
die kettengesicherten Felswände der Paredes |
|
auf der Vereda do Curral do Burro |
|
im Folhadal |
Fazit: die Wege, die wir begangen haben, sind alle gut markiert und freigelegt, allenfalls vom Pináculo nach Bica da Cana wird der Farn den Weg wieder schließen. Es wäre also gut, wenn er etwas stärker frequentiert wird, damit er auch nach ein paar Monaten noch erkennbar ist. Eine Levadarunde mit kleiner Kraxeleinlage ist doch eine Option.
Gehzeit: 5 h 30
Höhendifferenz: ↗↘ 1070 m
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen