Was für ein wundervoller Tag! Wir beginnen ihn mit dem Sonnenaufgang und lauschen der tollen Stimme der Sängerin Beatriz Caboz auf einem meiner Lieblings-Miradouros auf Bica da Cana. Die Sonne schiebt sich zwar nicht hell gleißend über die Picos, doch die zarten Wolken machen eine zauberhafte Stimmung.
Der Tag wird wieder heiß, und wir wollen zum Wandern abtauchen in die wasserreichen Schluchten des Nordens. Vom Forsthaus Estanquinhos stapfen wir zunächst noch hinauf auf den Pico Ruivo do Paúl. Die Wege über die Serra sind leider ziemlich ungepflegt, d.h. wir können vom Gipfel nur auf den Fahrpisten gehen, denn jeder kleine Pfad endet nach kurzer Zeit in undurchdringlichem Stechginster/Brombeerdickicht. In Richtung Nordwesten erreichen wir nach einer Stunde die Vereda das Barbinhas. In vielen Serpentinen geht es nun für eine Stunde schön schattig auf einem gut unterhaltenem Bergweg hinunter zur Levada do Norte.
Wir folgen der Levada gegen die Fließrichtung und durchqueren drei kurze Tunnel. Der Wasserkanal wird immer schmaler, die Vegetation dichter, und das Gefühl mit der Natur zu verschmelzen immer realer. An der Madre der Levada - in der Ribeira da Hortelã müssen wir einfach eine Weile sitzen bleiben - wirklich ein mystischer Ort!
Der Rückweg entlang der Levada - es erwarten uns noch sehr lange Tunnel - ist wie eine Reise zum Mittelpunkt der Erde. Man geht ja nicht einfach durch einen langen finsteren Gang, ganz im Gegenteil - es gibt so viel zu sehen, besonders im vierten Tunnel, den wir die "Silbermine" taufen. Durch die hohen Temperaturen hängt der 2 km lange Tunnel voller Wasserdampf. Immer wieder glitzern einzelne Felsen oder ganze Wände silbrig, dort, wo der Dampf in feinsten Tröpfchen am kalten Gestein kondensiert.
Die tunnelfreien Passagen erfordern viel Aufmerksamkeit, denn es gibt immer mal wieder sehr rutschige Stellen und auf die Seilgeländer ist nicht unbedingt Verlass.
Nach insgesamt zehn Tunneln und zwei Wasserfallduschen beginnen wir sehr erfrischt unseren Aufstieg. Direkt am Tunnelausgang führt ein etwas kniffeliger Pfad hinauf zur Vereda do Pau Branco. Dieser Weg ist eine steile Direttissima bis zur Levada da Ribeira do Inferno. Die stillgelegte Levada überqueren wir mit kurzem Schwenk nach rechts. Dann geht es überwiegend moderat ansteigend weiter hinauf bis zum Fuß des Pico Ruivo do Paúl. Nur die letzten Meter sind ätzend: Der Stechginster dringt viel zu schnell in den Weg hinein und muss eigentlich bei jedem Gang mit der Machete zurückgedrängt werden. Kleine Blessuren bleiben trotzdem nicht aus, vor allem bei Piet, der das Messer schwingt. Aber wir haben so viel Kraft und Energie in den letzten Stunden getankt, dass die kurze, pieksige Episode schnell vergessen ist.
Was für ein fantastischer Tag, welch eine grandiose Wanderung!
Wichtig für die Sicherheit: die lange Wanderung setzt ein gutes Orientierungsvermögen, am besten Ortskenntnis, Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und ein gutes Equipment (Taschen/Stirnlampen, Ersatzbatterien, Helm, Regenschutz für die Wasserfälle) voraus. Nur bei eindeutig stabiler Wetterlage gehen!
GPX: https://de.wikiloc.com/routen-wandern/levada-do-norte-145286630